Tonspur (2017) ist eine Serie von insgesamt acht Zeichnungen mit Tinte auf Japanpapier. Über das Blatt verteilt ziehen von links nach rechts vertikale Linien in Schwarz, Weiß und zartem Grau. Manche Linien sind vom oberen zum unteren Rand gezogen, kräftig und gerade wie Zäsuren, dann wieder dünn wie eine feine Naht; mal sind die Striche kurz und bilden ein dichtes Feld, daneben schlagen längere aus; andere wieder scheinen einer Ablenkung zu folgen und weichen von der geraden Linie ab – wie eine Schallwelle, die sich über eine Wasseroberfläche fortsetzt.
Wie in den seriellen Zeichnungen (2006), bei der die Künstlerin durch die Variation gerader Linien Wiederholung, Verdichtung und Rhythmisierung auf dem Blatt thematisiert – und die auf Plattencovers von Bands wie thilges3 und Polwechsel zu finden sind –, spielen auch hier musikalische Themen bzw. die Frage der (Auf-)Zeichnung von Klang selbst: Notation wie Tonspur, eine Rolle.
Inhaltlich sind diese grafischen Arbeiten eng mit dem skulpturalen Werk der Künstlerin verbunden, dem ein widerständiges Moment zu eigen ist – sei es in der vermeintlich falschen Wahl der Mittel (bei den in Handarbeit absurd aufwändig hergestellten, nämlich gestrickten, Bauteilen eines LKWs), im Flüchtig-Vergänglichen der Objekte (ein bevorzugter Werkstoff ist gefrorenes Wasser und Tinte), oder in der Behauptung eines Allem im Nichts, wie beispielsweise die Arbeit white noise (2009). Letzteres ist raumgreifendes Regal gefüllt mit leeren Büchern – dem Buch aller Bücher – auf deren Seitenschnitt ganz fein jeweils eine Tonspur gezeichnet ist.
Beim musictypewriter (2012) wiederum, dem Tinteneisguß des von der Künstlerin entworfenen Prototypen der Schönbergschen Notationsschreibmaschine, zeichnet dieser im Schmelzprozess auf dem darunter liegenden Stapel an Notationsblättern eine je neue Partitur seines eigenen Verschwindens.
Es herrscht also ein gleichberechtigtes Wechselspiel der Zeichnung und Auf-Zeichnung als durchgehende Linie im Werkverständnis von Claudia Märzendorfer. Ob die Zeichenserie Tonspur (Das Verschwinden der Maschine im Geiste der Musik), als Parallelgedanke oder Fortführung einer ihrer dreidimensionalen Arbeiten gelesen werden soll oder nicht, lässt die Künstlerin offen.
Jeanette Pacher, 2017