Ein Quadratmeter Land
Die österreichische Künstlerin Claudia Märzendorfer setzt sich in ihren Arbeiten mit Prozessen und Veränderungen sowie mit der Vergänglichkeit auseinander. Die ausgebildete Bildhauerin bedient sich dabei unterschiedlicher Medien und Materialien (wie Eis, Tinte, Stahl, Sound und Fotografie) und Techniken (wie dem Stricken eines Autos), die meist sehr (zeit-)aufwendig in der Produktion sind. Sie integriert das Thema Zeit als Grund- und Leitmotiv in ihre Werke. Bekannt ist Märzendorfer für ihre Objekte aus gefrorenem Wasser. Auch in ihrer eigens für die Ausstellung Visions of Nature entwickelten Arbeit Ein Quadratmeter Land spielt Wasser eine zentrale, wenn auch keine offensichtliche Rolle, ist es doch der wichtigste (anorganische) Bestandteil der Gräser der Wiesenstücke, die die Künstlerin fotografiert hat. Dafür durchstreifte Märzendorfer eine Almwiese und machte exakte Aufnahmen von jeweils einem Quadratmeter Land in konsequenter Aufsicht. So parzelliert sie ein Stück Land mit nahezu wissenschaftlicher Akribie und transferiert für uns zur Begutachtung maßstabsgetreue Abzüge in den Ausstellungsraum. Diese Herangehensweise erinnert an Karl Bloßfeldt, der – ebenfalls ausgebildeter Bildhauer – in der Pflanzenwelt „Urformen der Natur“ fotografisch festzumachen suchte. Im Gegensatz zu den toten Pflanzen aus dem bloßfeldtschen Fotostudio strotzen Märzendorfers Wiesenstücke allerdings vor Kraft und Energie. Die Künstlerin hat bewusst eine Jahreszeit gewählt, in der die Gräser in voller Pracht stehen. Auf diesen kleinen Ausschnitten der Erdoberfläche (deren Gesamtlandfläche 149.430.000.000 m² misst) präsentiert sich eine enorme Formen- und Farbenvielfalt. Die Faszination, die diese Bilder auslösen, ist überraschend, handelt es sich beim Dargestellten doch„nur“ um ein gewöhnliches Stückchen Wiese. Aber allein dieses birgt so viel an Ehrfurcht einflößender Komplexität, dass unser Bild von der Natur wieder ein ganz erhabenes wird.
Ein Quadratmeter Land – mit Koordinaten zwischen dem 38° und dem 40° Nord und dem 27° bis 29° Ost – dürfen sich die AusstellungsbesucherInnen von einem 5.000 Stück zählenden, am Boden liegenden Posterblock abreißen und mitnehmen – ein Stück Natur als Souvenir.
Verena Kaspar (Kuratorin)
1QM LAND
Natur, organischen Materie – besteht zum überwiegenden Teil aus Wasser. Fotografien -historische und zeitgenössische- kann man auch eingefrorene Bilder eines Zeitpunkts nennen. Um die Arbeitsweise von Claudia Märzendorfer zu beschreiben, könnte man demnach folgern: Märzendorfer macht performative Installationen aus gefrorenem Wasser, und unternimmt mit der selben Konse- quenz Ausflüge mit anderem Material. Indem sie beispielsweise Felder abgeht, abtastet, Räume zerlegt und neu zusammensetzt. Bei 1.Q.M.LAND wurde in dem Sinn ein ganzes Feld durchstreift, und aus der Perspektive eines Landvermessers aufgenommen und zerlegt. Üblicherweise und „handels-üblicherweise“- geschieht dies – wie die einzelnen Aufnahmen der Arbeit – in Quadratmetern. Die rankende Vermessung wurde im Format zu je 1x1m aus der Vogelperspektive 1:1 aufgenommen.
Den Widerspruch zwischen der hehren Vorstellung was Natur uns bedeutet und der stetigen Versuchung, der Nutzbarmachung definiert 1.Q.M.LAND, wenn je „ein Quadratmeter Land“, dieser gesamt 5.000 qm großen Wiese mit meterlangen und seltenen Gräsern, vom Außenraum in den Innenraum der Ausstellung transferiert wird. Mit einem m3 hohem Block, zu 10.000 Plakaten, der 1x1m großen Abbildungen dieser Wiesenteile werden unter Mitwirkung der Ausstellungsbesucher durch den Abriss und der Aneignung die Wiesenblätter zum Verschwinden gebracht wird.