POST STUDIO

In Foto-, Film- und Wandarbeiten wird Raum und Bild zu einer zeitlichen Achse verspannt. Der Pop Effekt ist sowie die Dekonstruktion das Prinzip, dass sich durch die Arbeiten Märzendorfers zieht: Wiederholung und Verschiebung der Interpretationsmöglichkeiten oftmals in einer 1:1 Darstellung. Nie ist dabei ein Bild ein abgeschlossener Gegenstand, Dekor einer Wand, das Buch reine Lektüre, die Skulptur ein für die Ewigkeit vorgesehenes Werk. Eine Rastlosigkeit dessen was das „Material“ an sich schon birgt wird in Form gebracht und ihre Vielfältigkeit zur Handlung der Darstellung. Das gilt für Märzendorfers Einsatz des Werkstoffs wozu auch Titeln und Sujets zählen.

Post Studio ist ein mise en abyme und eine Wiederholung mit Varianten.
Das Foto zeigt mehrere Personen in den Räumen des Ateliers.
Im Vordergund sitzend die Künstlerin deren Blick einer beschnittenen Weltkugel zugewandt ist. Weitere Personen und Künstler:innen des Gebäudes sind Teil der Szenerie in unterschiedlichen Positionen des Bildes und in der Abfolge der Räume. Ihr Blick ist nach vorne in Richtung Kamera gerichtet, wodurch ein stummer Blickwechsel direkt mit der jeweiligen Betrachter:in entsteht. Neben der Künstlerin im Vordergrund hängt an der Wand ein Bild das beinahe dieselbe Szenerie, dasselbe Bild ein wenig kleiner zeigt, was sich in Folge unendlich fortsetzt.
In dem nun eröffneten Spiel verändern die Darsteller:innen in jeder Wiederholung ihren räumlichen Standpunkt immer kleiner werdend des im Vordergrund hängenden Bildes im Bild, bis dieses unkenntlich ist: Ebene für Ebene, im Rhythmus der Wiederholung. In der jeweiligen Bildmitte im Zentrum des Studios befindet sich eine Skulptur, ein erstarrter Wasserabguss.
Entlang der Räume liest man Text und Beschriftungen, diese erschließen sich funktionell im Bereich des Ateliers und erfahren im Kontext des Fotos eine Variation ihrer Bedeutung: POST STUDIO, perfektes Verschwinden, LISTENING LOOKING … .

…Ach Human, wen interessiert’s. Es geht ums große Ganze. Und der Erfolg gibt uns das Recht und bestätigt unser Werk, wir nehmen uns, was wir kriegen können: Die Städte, die Schlagzeilen, die TV Stationen, das Kreischen tausender Fans … darum geht’s! Und die Strömungen arbeiten ohne Strom, schnell und unbürokratisch, mit Power, energieeffizient! Felix, Ike, 2008 …

…Was hier nicht unerwähnt bleiben darf ist, dass derartige abendliche Besuche, besonders in den Sommermonaten, innerhalb des Atelierparks des Bildhauergeländes von einer magischen Schönheit sind. Inmitten einer anderen Welt, liegt die städtische Oase, ein Stück aus einer anderen Zeit, und dennoch pocht sie jetzt an die Umzäunung. Rundherum ist der größte Park der Stadt, jedoch in unmittelbarer Nähe, im Rundumland, schießen dort wo jetzt noch Pferde leben Luxusappartements aus dem Boden. Und inmitten des umzäunten Parks der Ateliers kann man zusehen, wie aus der Mitte eines Zifferblattes, von dem Punkt, wo die Zeiger fixiert sind, wie die Welt rundum sich im Takt von Kränen und Baggern tagtäglich verändert. …

…00:05
…Es war spät geworden. L. war schon in ihr Atelier zurückgegangen, W. war müde, und bevor wir begleitet von Glühwürmchen durch den nächtlichen Park jeder in sein Atelier zurück trotteten, sagte U. zum Abschied:
„Wir sollten ein Foto machen. Nackt, ausgezogen, mit deiner fair trade Solarlampe in der Hand“….

Das Ergebnis wirkt immer etwas befremdend. Hier treten uns Dinge entgegen, welche die Selbstsicherheit des bereits Vorhandenen unterlaufen. All das stellt die Verlässlichkeit der üblichen Dinge in Frage. Vom umhüllenden Plastik befreite Hohlräume treten als Gegenstände auf. Hier begegnet uns eine Dingwelt, die durch etwas hindurchgegangen ist, die etwas hinter sich gelassen hat. Daher entzieht sie sich auch immer wieder dem unmittelbaren Begreifen. Im wortwörtlichen Sinn lassen das die Gebilde aus Eis erfahren. Sie schmelzen vor den Augen der Betrachterin, sie lassen sich nicht festhalten, schwinden dahin. Doch auch das in Gips und Wachs Geformte entzieht sich dem raschen Zugriff. Aus Flüssigem ist hier Festes hervorgegangen, das Flüssige hat sich in Hüllen geschmiegt, die nicht mehr vorhanden sind, ist fest geworden und bezeugt als fest Gewordenes eine Welt jenseits von Kunststoff und Plastik. Dieses Festgewordene ist schön, zauberhaft, kostbar und zerbrechlich. FOUNTAIN ist fest gewordenes Wachs, die Skulptur ist zugleich auch Fest gewordenes Wachs, ein Lob auf dieses einfache und zauberhafte Material.

Wachsmodelle gibt es traditionell in der Anatomie, die Moulagen, oft auch im religiösen Kontext, Darstellungen der Madonna, des Herzens Jesu, Krippenfiguren. In der Bildhauerkunst werden Wachsmodelle mit feuerfestem Material umgeben und ausgeschmolzen. In den entstandenen Hohlraum wird das Material der Skulptur gegossen, meist Metall. Claudia Märzendorfer geht den umgekehrten Weg. Sie gießt Wachs in den Hohlraum. So entsteht eine Skulptur, der alle Festigkeit der in Metall gegossenen Skulpturen abgeht. Wie andere Arbeiten von Claudia Märzendorfer ist sie leicht hinfällig. Ihre Oberfläche ist verletzlich, weich, ein Gebilde am Rande des Andersseins, des Zerfließens, des Zerfallens. Alles Harte, Feste ist hier nur scheinbar, denn diese Welt ist hoch sensibel und immer dem Verfall preisgegeben. Hier wird Transformation vor Augen geführt, Hohlräume werden zu festen Körpern umgeformt, feste Körper in prekäre Existenzen, die jederzeit die Bestimmtheit ihrer Gestalt verändern können, wenige Grade wärmer würden genügen.

Die Skulpturen von Claudia Märzendorfer sind fernab von allem Figurativen. Und doch haben sie eine viel engere Beziehung zum menschlichen Körper, ja zu den Körpern aller Lebewesen, als jede naturgetreue Darstellung. Sie führen uns das Prekäre unserer eigenen Existenz vor Augen. Und sie sind schön, wunderbar, zauberhaft. Es gibt daher für FOUNTAIN keinen besseren Zeitpunkt als unsere Gegenwart mit all ihren Gefährdungen und Unsicherheiten. Und es gibt keinen besseren Ort für diese Skulptur als jenen, an dem die Schönheit, das Wunder und der Zauber des Lebens gefeiert werden.

Gustav Schörghofer SJ

Die Arbeit AROUND THE LIGHT (2020) zeigt die Veränderung des Lichts über einen Tag, welche zugleich die Bewegung der Erde um die Sonne widergibt. 24 Stunden lang wurde alle 8,19 Minuten – die Geschwindigkeit des Lichts von der Sonne zur Erde – von ein und derselben Position ein Bild des Himmels aufgenommen. 175 Bilder insgesamt.

Präsentiert, genauer: projiziert werden nun 160 Licht-Bilder in zwei Kodak Carousel-Projektoren mit jeweils 80 Dias. Diese verbinden Innen- mit dem Außenraum und bringen buchstäblich Licht in den Raum der Ausstellungswand. Dank sanfter Überblendungen schafft die Künstlerin ein zeitliches Kontinuum, während sich die in den Bildern festgehaltene Bewegung der Sonne und die Bewegung der Karussellmagazine zum Kreis schließt.

An das sogenannten Cyanometer: ein Messgerät, das gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt wurde, um die Intensität der blauen Himmelsfarbe zu erfassen, lässt die Installation denken.

Assoziativ und konkret muten die zarten Objekte wie Eisschollen an. Zerbrechlich, glatt und schneeweiß sind die Plastikplastiken zusammengesetzt. Wie vielteilig räumliche Puzzles wurde jedes einzelne Element zueinander gesetzt und in der Serie „FoF“ in einem der ältesten Materialien aus keramischem Gips, manchmal lose und manchmal eng und beinah verwachsen, an einander gegliedert.

Frankreich steht fürs gute Leben und als frankreichgroß bezeichnete man bis vor noch kurzer Zeit die Dimension des Plastikvorkommens oder Pacific Garbage Patch in den Meeren. Es handelt sich um ein Territorium das wild und ohne Regeln und Regierung ist. Eine Insel, ein unbekanntes Land das Auswirkung des Verpackungsmülls- also Dingen die zu einem großen Teil kurzlebig für den Bedarf und langlebiger als die Vorstellung reichen kann- ist.  Die schwerwirkenden Folgen dessen was das gute Leben in den Ozeanen treibt sind Ausgangspunkt bei „Figures of France“.

Musik entwickelt sich in der Dimension der Zeit. Flüchtigkeit und Vergänglichkeit sind zentrale Themen in Claudia Märzendorfers Skulpturen aus Eis und ihren Videos über Instrumentenzerstörungen.

Als radikales Statement wurden performative Klavierzerstörungen schon oft in der Kunstgeschichte vorgenommen. Wenn Claudia Märzendorfer einen Flügel zerlegt, geht sie dabei weniger brachial, als ganz konzentriert vor und macht in der filmischen Dokumentation den individuellen Nachhall des Musikinstruments sicht- und hörbar. Smashed to pieces, 2018 zeigt, wie aus einem komplexen Instrument eine Ansammlung von Einzelteilen wird – lose Formen, ohne jegliche Funktion, liegen aufgereiht auf einem Schiffbrettboden, der in diesem Zusammenhang an die Linien eines leeren Notenblatts erinnert. In einer Neuproduktion schlägt Märzendorfer ein weiteres Kapitel aus der Geschichte der Instrumentenzerstörung auf und verhandelt ein (pop-)kulturell und künstlerisch ganz anders aufgeladenes Musikinstrument: die E-Gitarre. Sie verweist auf die bühnenwirksame, männlich-brachiale Geste ihrer Destruktion. Sie verbindet die beiden Videos, in dem sie den Klang der Klavierzerlegung über einen Gitarrenverstärker abspielt. Still of the night, 2019 . Text OK

 

Für die Vögel ist ein Projekt im öffentlichen Raum mit vielen Beteiligten:
Bildende Künstler:innen, Autor:innen, Architekt:innnen und Musiker:innnen werden dazu eingeladen in ihrer Sprache, mit ihren Objekten einen „aeronautischen Skulpturengarten- eine schwebenden Werkbundsiedlung“ im öffentlichen Raum zu erschaffen. Die individuellen Birdhouse-Objekte bilden zusammen die skulpturale Installation.

Künstler:innen 2019, 2022, 2023:

Azra Akšamija & Dietmar Offenhuber/ Dave Allen / Sam Auinger + katrinem / Miriam Bajtala / Miriam Bajtala / Udo Bohnenberger / Catrin Bolt / Cordula Bösze / Barbara Brandstätter / Ruth Cerha / Regula Dettwiler / Elisabeth Flunger / Andreas Fogarasi / Grete, Toni, Nicole / Maia Gusberti / Elektro Guzzi / Judith Fegerl / Anne Hardy / Rosa Hausleithner / Johannes Heuer / Edgar Honetschläger / Rudi Klein / Kluckyland / Simona Koch / Susanne Schuda / kozek hörlonski / Evelyn Loschy / Stefan Lux / Lotte Lyon / Claudia Märzendorfer / M&S Architects – Uta Lambrette / Maja Osojnik / Kunstkollektiv RHIZOM / Almut Rink / Peter Sandbichler / Hans Schabus / Toni Schmale & Wally Salner / Ferdinand Schmatz & Annelie Gahl / Ed Schnabl / Stefanie Seibold / Abdul Sharif Obdulwafemi Baruwa / Nicole Six & Paul Petritsch / Steinbrener/Dempf & Huber / Carsten Stabenow – tuned city / Andi Strauss / the next ENTERprise / Sophie Thalbauer / Sophie Thun / Viktoria Tremmel / Herwig Turk & Gerhard Huber / Anita Witek / Werner Würtinger.

Studierende der Universität für Angewandte Kunst: TransArts 2021, Skulptur und Raum 2024;

 

„smashed to pieces“ ist die filmische Aufnahme der Zerlegung eines Flügels, die von mehreren Akteuren in Kooperation vorgenommen wird. Zu sehen ist eine konzertierte Aktion, ein konzentrierter Live-Act, bei der sich die Form des Instruments allmählich verändert – von einem kompakten funktionierenden Gefüge zu einer losen Ansammlung unterschiedlicher Formen, die nun, vermeintlich funktionsfrei, anderen Nutzungen zugeführt werden könnten. Die gewählte Kameraperspektive ist eine Frontalaufnahme, die den Blick von oben in den Raum erlaubt. Der Film wird 1:1 im Format 16:9 auf den Boden des Ausstellungsraums projiziert. Betrachtet man die Arbeit, werden Betrachter- und Kameraperspektive folglich deckungsgleich, während BesucherInnen, die sich im Ausstellungsraum aufhalten gewissermaßen zu live-AkteurInnen werden und, wie in einer Art Hybridbild mit der filmischen Szene interagieren. Die Aktion ist mittels einer Vielzahl am Instrument angebrachter Kontaktmikrofone akustisch live dokumentiert, und die im Zuge der Dekomposition des Flügels erzeugte Polyphonie für die Komposition des Soundtracks verwendet.

Unzählbare Klavierzerstörungen sind von Musikern, Schriftstellern, Performancekünstlern, Zeichnern in den letzten 150 Jahren unternommen und beschrieben worden. Auf dieser Grundlage operiert die filmische Installation.

Immer geht es dabei, um ein radikales Statement und damit um eine Positionierung zur Welt. Vielmehr als um das Erklingen des Instruments handelt es sich bei den Unternehmungen um den Nachhall im Individuum, ist das Instrument das Organ der Demonstration.

 

 

Vier fotografische Aufnahmen der leeren Räume für die zukünftige Neuaufstellung der Kunstsammlung Graz
Jeweils Schuss und Gegenschuss

Teil einer mehrteiligen Auftragsarbeit für die Stadt Graz
bestehend aus
– Fotoedition „das leere Archiv“
– Textarbeit + Publikation „unter ein Bild“
– Schallplattenedition „fiktiver Archivar“

Märzendorfer stellt Objekte aus gefrorenem Wasser oder Tinte her: ephemere Plastiken, deren Zerfallsprozess mit dem Zeitpunkt ihrer Präsentation einsetzt. Die Eisarbeiten sind eine „Anti-Idee“ zur Skulptur, als Inbegriff des für die Ewigkeit geschaffenen, eingefrorenen dreidimensionalen Bildes. CM setzt Bilder in Bewegung und schafft Situationen, die dank ihrer Instabilität Momente der Überraschung in sich bergen.

Die elfte Eisarbeit in Märzendorfers catalogue raisonne oder besser gesagt vielleicht Schneeplastik- Schneemann, schwarz- wird hinsichtlich ihrer Form und ihres Aggregatszustands transformiert. Ein Schneemann, klassisch aus drei Teilen und mit Tinte eingefärbt, löst sich im Rahmen der Ausstellungseröffnung auf. Die Künstlerin versteht die an sich simple Gestalt (grafisch gesehen aus drei Kreisen, räumlich aus drei Kugeln, wie auch die dazu entstandenen Malereien zeigen), als Popfigur und vom Aussterben bedroht, verbindet doch diese vereinfacht menschliche Figur ein Abbild der brennenden sozialen und ökologischen Probleme in sich.
Der Schneemann wirkt deplatziert, nicht nur wegen der Jahreszeit und seiner Aufstellung im Innenraum, auch seine schwarze Farbe passt nicht ins gewohnte Bild.

Übrig bleibt die schmale Transportkiste, in der sich das Tintenwasser sammelt und eine plane Fläche im Raum bildet, so als könnte man den Schneemann -oder was davon über ist- mitnehmen, lagern oder sogar kaufen.
Die Flüssigkeit glänzt schwarz, ihre Oberfläche reflektiert wie ein Spiegel, im Sinne der politischen Situation birgt auch das plane Bild am Boden im Rahmen der Box eine Verschmelzung der sozialen und ökonomischen Situation.
Mit der im Becken der Kiste verbliebenen Tinte des Schneemanns könnte man aber auch viele Geschichten schreiben, könnte damit Bücher füllen, wie etwa die leeren Seiten der eigenwillig in einem Regal gestapelten schwarzen Bücher bei „a matter of form“.

Kollektive Collage/ cadavre exquis

Textauszug: Jeanette Pacher (Kuratorin)

cadavre exquis

Wandarbeit bestehend aus 200 s/w-Plakaten à 120×80 cm

… Raum wird in Bilder zerlegt und aufgefächert, gewohnte Sehgewohnheiten werden dabei dekonstruiert. In lebensgroßen Wandzeichnungen und in fotografischen 1:1 Reproduktionen tastet sie Räume förmlich ab. Dafür werden diese einem Raster folgend zuerst bildlich erfasst und zerlegt und die fotografischen Reproduktionen neu zusammengestellt. Diese Form von räumlicher Erkundung stellt für die Künstlerin eine Möglichkeit der Erkenntnis dar. Die allgemeinere Frage, wie wir die Welt begreifen und unsere Umwelt gestalten, zieht sich durch ihr Werk.

Die großformatige Wandarbeit cadavre exquis, die Märzendorfer 2016 realisierte, zeigt einen von der Künstlerin festgelegten und fotografisch dokumentierten Ausschnitt einer Raumflucht durch das alte Postamtsgebäude in Bregenz, in dem sich nun der Bildraum Bodensee befindet. Ebendort wurde die aus 200 s/w-Fotoplakaten bestehende Arbeit präsentiert.

Für die ortsspezifische Collage wurden 200 lebensgroße Fotografien auf 80 Gramm Papier im Format 120 x 80 cm geplottet, geordnet, geschlichtet und an die Wand genagelt. In mehreren Lagen und dichten Reihen hingen die Plakate über- und nebeneinander an der Wand und erzeugten zusammen ein Gesamtbild der Raumflucht. Deren Höhe war in drei Reihen – A (oben), B (Mitte), C (unten) – unterteilt, die Breite wurde in sieben Spalten (1–7) wiedergegeben, während die Tiefe der Raumflucht variieren konnte und dementsprechend die Anzahl der Plakatlagen bestimmte. BesucherInnen der Ausstellung waren eingeladen, in den Plakatreihen zu blättern, also die unter der ersten Bildschicht liegenden weiteren Plakate aufzudecken, gegebenenfalls auch ein Wandstück abzureißen und mitzunehmen, und sie veränderten dabei jedes Mal das Gesamtbild. Denn blättert man in den Bildern, ergeben sich immer wieder neue bildliche Nachbarschaften und zufällige Ansichten – ähnlich wie bei der von den Surrealisten praktizierten und als cadavre exquis bezeichneten, spielerischen Methode der Bild- und Textproduktion.

Für die vorliegende Publikation – die als Dokumentation der wandfüllenden Plakatarbeit in einer Auflage von 100 Exemplaren konzipiert ist – wurde das Prinzip der Zerlegung und räumlichen Neuanordnung (wie oben beschrieben) ein weiteres Mal vorangetrieben, diesmal um die fotografische Wiedergabe der Raumflucht für das lineare System eines gebundenen Druckwerks zu adaptieren.
Die insgesamt 21 Plakatblöcke samt jeweiliger Tiefe (A1–7, B1–7, C1–7) sind hier also statt gleichzeitig unter-, neben- und hintereinander so angeordnet und zusammengefasst, dass man beim Blättern im Buch folgende Ordnung vorfindet, die einen von oben links (A1) nach unten rechts (C7) führt und zwar jeweils von einem Bildstapel zuerst in die Tiefe und erst dann folgt der nächsten Bildstapel in Leserichtung; dieser führt dann wieder zuerst in die Tiefe, und dann folgt der nächste Bildstapel in Leserichtung usw.
Die Publikation ist folglich in 21 Abschnitte gegliedert und mit entsprechend beschrifteten Zwischenblättern versehen. Je nach Anzahl der Wände, die sich in der jeweiligen Flucht hintereinander befinden, umfassen die Abschnitte mehr oder weniger Seiten.

Jeanette Pacher

Eine Geschichte von horizontalen und vertikalen 1:1 Verhältnissen.

Auf jedem Plakatblock ist ein schwarz-weißes Foto – 1:1 zur Realität – worauf die Wand ist, die direkt dahinter liegt.
Und dahinter: die Wand, die direkt hinter der Wand ist, und dahinter die Wand, die direkt dahinter und gegenüber der Wand ist, und dahinter die, die direkt hinter der Wand dahinter ist, und dann die, die genau gegenüber ist von der Wand dahinter, und dann dahinter die Wand, die direkt hinter der Wand ist, und dahinter die, die direkt dahinter und gegenüber ist von der Wand, die hinter der Wand ist und genau hinter der Wand, die dahinter ist. Direkt hinter der Wand, und dann dahinter die Wand, die genau gegenüber ist, und dann die dahinter (zumindest im Zustand von Mitte Mai 2015) …bis zur Wand, an dem die letzte Wand in der Abfolge der Wände der Landschaftskunstabteilung an die der Architekturklassenwand grenzt.

Direkt daneben ein 2. Block mit einem 1:1 zur Realität plakatgroßen s/w-Foto der Wand dahinter (solange sie niemand abreißt) und der Wand von daneben an der Wand, die direkt dahinter an der Wand ist, dann dahinter die Wand dahinter (solange sie niemand abreißt) und daneben, auch auf dem Foto daneben, ist die Wand, die die Wand daneben ist (solange sie niemand abreißt), und dann dahinter die Wand gegenüber und daneben (solange sie niemand abreißt), und dann die Wand, die direkt hinter der Wand dahinter ist (solange sie niemand abreißt) und daneben die Wand daneben (solange sie niemand abreißt), und dann die, die genau gegenüber ist von der Wand dahinter (solange sie niemand abreißt), und dann dahinter die Wand die direkt hinter der Wand ist, und dahinter die, die direkt dahinter und gegenüber ist von der Wand, die hinter der Wand ist und daneben, und genau dahinter die Wand, die dahinter ist (solange sie keiner abreißt), direkt dahinter die Wand und dann dahinter die Wand, die genau gegenüber ist (solange sie keiner abreißt) und dann die dahinter (solange sie keiner abreißt), und danach die Wand hinter der Wand neben der Wand (zumindest in dem Zustand von Mitte Mai 2015) …bis zur Wand, an dem die letzte Wand in der Abfolge der Wände der Landschaftskunstabteilung an die der Architekturklassenwand grenzt.
CM 2015

22 Fotografien à 120 x 80 cm, geplottet und in Form von 2 Abrißblöcken direkt nebeneinander an die Wand genagelt.

Die Plakatarbeit setzt sich aus aus vier s/w Fotografien zusammen, sie zeigen das dahinterliegende Gelände des Containerbaus an dem sie affichiert wurden.
und lassen den Betrachter durch das Gebäude blicken:

An der nach Norden ausgerichteten oberen Kante, der Ostseite des Containers lassen sich hervortretende Metallstrukturen aus quer- und längs- Formrohren auch als verschlossene Fensteröffnungen lesen.
Die Affichierung der plakatgrossen Fotos in dieser Struktur an Ost.- und Westseite des Baukörpers öffnet so gesehen den Container in das dahinter liegende Gelände des Gebäudes. Die Plakate eröffnen den Blick durch das Gebäude.

Die Plakatierung der Sicht ist somit eine Umkehrung und Freilegung der selben.
Bislang war diese verschlossen und eröffnet sich dem Betrachter S/W. Zugleich nimmt die dicht an einenander liegende Bildserie die Bewegung des Vorbeigehens auf wie durch ein Fensterband.

Die Bilder nebeneinander in der Metallstruktur des Gebäudes affichierte Fotoserie zieht sich zu einer Bildfläche zusammen und bedient sich grafischer und textlicher Elemente eines Raumplanes, womit die Künstlerin auf die stetig wachsenden Baumassnahmen und Gebäude im Umland anspielt.
„fünf vor zwölf im viertel vor zwei“ – so der Text in einer Art Planfenster der den Fotos inne ist, ist also auch kritisch und mehrdeutig zu verstehen.

Mit der exakten Verschiebung des fotografischen Blicks durch den Standort der Kamera -frontal zum Bild im Hinterland des Gebäudes hindurch- ist auch wie ein sichtlich leichter Standortwechsel „von Fensterblick zu Fensterausblick“ und damit ist auch die Bewegung der Beobachterin in der gesamten Bildfläche sichtbar.
Sie fängt den Moment ein und setzt schlussendlich das „eingefrorene Bild“ am exponierten Eckpunkt der oberen Kante entlang des Baus wieder fest – so wie dies durch die Erinnerung an einen Ort oder ein Ereignis immer wieder, mit einem leicht wechselnden Blick, geschehen kann.

WANDABWICKLUNG

Möglicherweise ist Landvermesser K. Angestellter des Instituts für Stadtzerstörung GmbH. des Freundes S.

BIG Conference 200 m Gang
Wandabwicklung T. bis A., rechte Wand
und 02 bis 22, linke Wand laut Plan Wandabwicklung.
Zeichnung im Maßstab 1:1

Die stetig steigenden Verkehrstoten in der Stadt bereiten dem Berufskiller S. Kopfzerbrechen im 1962 verfassten Essay Institut für Stadtzerstörung GmbH des japanischen Architekten und Autors Arata Isozaki. Der Verkehr als Tötungsmaschine macht S. Konkurrenz und verletzt seine Berufsehre, und gibt schließlich den Ausschlag dazu, das Genre zu wechseln. Um also die Konkurrenz auszuschalten, eröffnet Freund S. ein Büro für Stadtzerstörung.

Aus dem Prospekt des Instituts für Stadtzerstörung GmbH. – Geschäftsinhalte.
Unser Unternehmen beabsichtigt die vollständige Zerstörung der großen Städte, die sich wiederholt auf heimtückischen Massenmord eingelassen haben, und den Aufbau einer Zivilisation, wo der elegante, geschmackvolle und humanistische Mord ohne Schwierigkeiten ausgeführt werden kann. Wir werden alles tun, was zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist.

Unsere Geschäftspraxis sieht folgendermaßen aus:
1. Physische Zerstörung
2. Funktionale Zerstörung
3. Zerstörung von Bildern.

Unser Unternehmen wird mit aller Kraft die hier beschriebenen Formen der Zerstörung durchführen und sich ständig um die Bekanntgabe neuer Pläne bemühen.

Landvermesser K. wiederum, der Protagonist in Franz Kafkas unvollendetem Roman Das Schloss, kämpft um die Anerkennung seiner Existenz von Seiten der undurchschaubaren und, wie sich herausstellt, letztlich unerreichbaren Instanz des Schlosses und ihrer Verwaltung. Während das Schloss die perfid perfekt organisierte Welt verkörpert, umkreist Kafka mit der Beschreibung der vergeblichen Mühen des Landvermessers K. die leere Mitte, Stadt, Gesellschaft. Was, wenn dieser nun eine neue Berufung als Angestellter am Institut für Stadtzerstörung gefunden hätte? Dem Leerlauf mit einer konstruktiven Wende zur Destruktion, zum Widerstand, Handeln entgegnet hätte?

Die temporäre Wandzeichnung von Claudia Märzendorfer Möglicherweise ist Landvermesser K. Angestellter des Instituts für Stadtzerstörung GesmbH des Freundes S. stellt den Versuch einer visuellen Übersetzung des Terminus technicus Wandabwicklung dar. Der Begriff, zu finden auf Plänen des BIG-Gebäudes, wird hier buchstäblich verstanden: so als würde man die Wand abrollen. Dadurch verdoppeln sich die Umrisse der Ausnehmungen wie Türen, Fenster, Kanten, Elektrodosen, Lüftungsklappen, Ein- und Ausbuchtungen, und die Gesamtheit des in seiner Form heterogenen Ganges wird verdichtet. Die Wandzeichnung zieht sich über die gesamte Länge des Ganges im 2. Stock der BIG, der altes und neues Gebäude miteinander verbindet. Stellenweise wird die Kontinuität der Zeichnung unterbrochen, an anderen Stellen ist der Rhythmus der Linien stark verdichtet – stets ist sie ein Spiegel der realen Architektur.

Die gezeichneten Forrmen erscheinen wie Spuren aus Stadtstaub. Pigmente wurden hierfür mit dem Pinsel direkt auf die Wand aufgetragen. Ihre Präsenz erinnert an die Abwesenheit eines anderen Gegenstandes – wie beispielsweise die typischen Spuren an den Wänden geleerter Wohnungen –, aber auch an die flüchtige Verdoppelung eines Gegenstandes durch seinen Schatten. Die Ausführung der Zeichnung als Staubarbeit unterstreicht den Kontext des urbanen Raumes und seine stete Veränderung. Wandabwicklung. Möglicherweise ist Landvermesser K. Angestellter des Instituts für Stadtzerstörung GesmbH des Freundes S. ist die bislang umfangreichste einer Reihe von Staubarbeiten von Claudia Märzendorfer, mit der sich die Künstlerin mit Vergänglichkeit, der Fragestellung von Bewahren und Zerstören, von Verschwinden und Neubeginn in der ihr eigenen Materialsprache auseinandersetzt. Mit action Painting (2003) nahm die Reihe ihren Anfang; zuletzt realisierte sie 2010 mit Tomorrow ist auch ein russischer Tag eine Serie an Staubregalen in Wien.

Übrigens: Die Arbeit ist laut Einreichung „gänzlich ungefährlich und ungiftig in Verarbeitung und Bestand“.

Jeanette Pacher

Publikation:
SILENT RUNNING/ lautlos weiter
published by Revolver Verlag VV Berlin
Auflage: 50
http://www.revolver-publishing.com/w3NoM.php?nodeId=1378

Edition:
SILENT RUNNING/ lautlos weiter
Sammler Edition/ special edition: 2013
Auflage 5: Druck auf transparentem Papier
unframed, in Box/ gerahmt oder in Holzbox

Das Konzept verweist auf die spezielle architektonische Situation des Gebäudes und thematisiert dessen Zuschreibung. Durchgängig durch das Gebäude wird an Boden, Wand, Decke, Fassade eine Spur gezeichnet und beschrieben: ein anderes Haus. Das andere Haus, das früher an dieser Stelle stand, wurde überschrieben. Oben, unten, links, rechts sieht man das Haus noch (vor allem) bei Nacht. Früher war die Erde eine Scheibe, und früher war die Welt größer. Der Raum bleibt, auch ohne Struktur.

Der dreidimensionale Plan des alten Hauses entsteht durch die (neuen alten) Linien im Kopf, schreibt die alten Strukturen in den neuen Raum ein. Da oder dort entsteht eine Nische, eine Wand, wo keine mehr ist. Manchmal steht eine Wand des neuen Hauses auf einer der alten.

Vom Labyrinth bis zum Shared Space bezwecken räumliche Überlegungen meist Unterteilungen, Eingriffe, intelligente Lösungen, um vor allem soziale Bereiche übersichtlich oder auch rätselhaft zu gestalten.

Diese Ausführung lässt mittels der Linien einen dreidimensional erdachten Raum innerhalb des gesamten Gebäudes entstehen; er ist über die Stockwerke, die Fassade, im Innen- und Außenraum erkennbar, führt hinein und wieder hinaus. Die Linien ziehen sich durch das gesamte Gebäude und sind als Kunst am Bau nicht auf einen zugewiesenen definierten Ort beschränkt. Dieser erdachte Raum wird ebenso wie das neue Haus von den Benützern frequentiert. Aus den räumlichen (Unter-) Teilungen, die die Linien visuell verursachen, erfolgen möglicherweise auch bestimmte temporäre Nutzungen der alten Hausordnung.

Das Konzept versteht sich als Gesamtplan. Kein solides Kunstwerk, aber eine künstlerische Überlegung. Es greift den neuen, nicht mehr rein funktionalistischen Bau (postfunktionalistisch: Atrien, Dispoklassen, Ruhezonen) auf und erklärt sich nicht als Kunstwerk im Sinne eines separierten, in sich geschlossenen Gebildes. Vielmehr versteht sich diese handgezogene Linie als Kommunikationsinstrument, das changiert zwischen der Signalethik (räumliche Orientierungshilfe in komplexen Gebäuden) und einer Spur, die die Geschichte des Raumes erzählt.

Ein Leitsystem, dem die Ausführung ähnlich ist, ist in (österreichischen) Schulen oftmals nur in rudimentärer Form notwendig. Manches zu bezeichnen ist hilfreich und kann auch, oder darf auch – besonders bei jungen Menschen – verwirrend sein.

Leitsysteme schaffen Identität, schaffen Beziehung für die Nutzer.

Sichtbar ist dieses Element der Linie nur dort, wo die Umrisse des alten Gebäudes auf die neuen Linien und Flächen des neuen Gebäudes treffen. Ist keine Fläche und Linie deckungsgleich mit dem historischen Bestand, ergibt sich keine sichtbare Linie – außer im Kopf, als gedachte, imaginierte Verbindung. Sind Verbindungen, Linien in der Luft oder verschwinden mitten im Raum, sind diese nicht sichtbar und bleiben in der Luft liegen.

Die Abrisslinie des alten Schulhauses, das teils erweitert, teils neu errichtet wird, ist im Plan die Leitlinie. Die Gestaltung zeichnet eine Spur, regt die Vorstellungskraft an und lässt auf die Geschichte zurücksehen, löst die Linien der neuen Architektur und greift wie alles Lernen und Lehren den alten Bestand auf … dreht Zeit zurück, lässt Rückschlüsse ziehen auf ein permanentes Fortschreiten von Tat- und Wissensbeständen und Altes aus neuer Perspektive betrachten.

Ziel ist zu vermitteln, dass nichts was erschaffen und erdacht wird ohne Vorwissen und ohne Vorleistung entsteht und entstehen kann, und dass jegliche menschliche Errungenschaft verändert wird, um im Sinne des Wandels etwas Neuem Platz zu machen, einer Entwicklung und Erweiterung durch die nächste Generation.

Shared Space, Wettbewerb Kunst am Bau, BRG Krems, 2013

Claudia Märzendorfer

die herrliche maschine der fort bewegung der faden läuft zweiundsiebzig kilometer zeit des lebens motor schnurrt der wolligen wildnis entgegen der herrschenden meinung nichts ist hier einfach gestrickt

for the motor

Prosa 2013 Ruth Cerha

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Foto/Minivideo: Rosa Märzendorfer

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Die Vervielfältigung der Vervielfältigungsmaschine

„meine Notenschreibmaschine“ 1909 entwirft Schönberg „meine Notenschreibmaschine“, das Patent reift zwar bis hin zur Patentschrift, wird aber aus formalen Gründen am Patentamt abgelehnt und nie gebaut. Eine Vorstudie für eine „elektrisch betriebene Schreibmaschine“ (1909) ist im Schönberg Catalogue raisonné (Cr 224) als solche bezeichnet, unter anderen Konstruktionen, Möbelentwürfen und einem Schachspiel für 4 Personen.

John Cages liebe zu Pilzen ist weithin bekannt. Das von ihm in Kooperation mit einer ZeichnerIn entstandene „Mushroom Book“ wurde in einer Auflage aufgelegt.
Beschrieben werden hier Schopftintlinge. Diese Myzels haben eine faszinierende Anmut, wie Objekte aus Tinteneis. Passend zu ihrer besonders fargilen Erscheinung verhalten sie sich auch während ihrer kurzen Sichtbarkeit wie zarte Objekte:
Vorerst in blendendem weiß mit zarten kristallähnlichen Fransen, mit der Zeit verwandeln sie sich in eine kaum wiederzuerkennende Gestalt. Pechschwarz, tropfend entschwinden sie wieder.
Übrig bleibt nichts als ein Fleck aus zarter Tinte, eine Zeichnung am Boden.
Irgendwo tauchen sie im Umkreis wider auf und ziehen unterirdisch ihre unsichtbaren Kreise, wie Melodien bei denen es Pausen gibt, in der Erwartung auf ein wiedereinsetzten des Verklungenen.

Die Seltenheit macht besonderen Wert, auch 4’33“ kann man nicht kaufen. Auf Märkten ist auch der Pilz so gut wie nie zu sehen.
Nie weiss der Zuhörer des Cagen’ Stücks was ihn exakt erwartet.

 

Installation im Raum:
In Vitrine eins befindet sich die Leihgabe eines John Cage Originals des John Cage Trust NY (Mushroom Book, 1972 NY) In Vitrine zwei befindet sich die Gegenüberstellung seiner Interpretation, The Mushroom Book;

Projektbeschreibung:
Eine Jeansmappe darin blütenweiße Japanpapierbögen wie bei Cages Mushroom Book, 1972. Das oben aufliegende Japanpapier hat einen Faltbug und geöffnet bedeckt es die unteren Blätter. Die nachgeformten Pilzobjekte in Tinteneins gegossen, zerschmelzen am saugstarken Papier und skizzieren die kurze Erscheinung der Tintenpilze aus sich.
Die Tinte derselben wurde aus Schopftintlingen gewonnen.
Die unter dem Vitrinenglas eingeklemmten 10 wichtigsten Bücher für John Cage lassen Luft in die Vitrinen. Durch die lebendigen, stark strukturierten Lamellen und Papierschichte, liegen die Pilze wie auf Erdboden.
Das Papier gleicht durch seine Materialität durchschnittenen Erdschichten eines Waldbodens.
Die Jeansmappe wird nach dem Prozess mit den entwickelten Blättern ergänzt.

Die Wandzeichnung wird aus den Pigmenten Eisenoxydschwarz, Kasslerbraun, Grafit, Aluminium und Elfenbeinschwarz mit dem Pinsel direkt auf die Wand aufgetragen. Die zeich­nerische Spur, die sich dadurch ergibt, er­scheint wie aus typischem Stadtstaub hergestellt. Ihre Präsenz erinnert an die Abwesenheit eines anderen Gegenstan­des, wie beispielsweise die Spuren von abge­hängten Bildern an einer Wand, aber auch an die flüchtige Verdoppelung eines Gegenstandes durch seinen Schatten. In ihrer Materialität ist die Staubarbeit per se temporär. Die Entscheidung, die Wandzeichnung in Form einer Staubarbeit umzusetzen, soll den Kontext des urbanen Raumes in seiner steten Ver­änderung unterstreichen.

Die Bibliothek als Inbegriff für Bildung, Wissen, Diskurs, Neugierde, Ideenreichtum ist Gegenstand der neuen Arbeit von Claudia Märzendorfer, White Noise. Schon mehrfach hat sich die Künstlerin dieser „Einrichtung“ – in der Doppeldeutigkeit des Wortes als Institution und als Möblierung – gewidmet; die Installation eines konzeptuell wie formal speziell entwickelten Buchregals für das Stift Admont scheint demnach eine folgerichtige Konsequenz zu sein.

Was wäre das Buch der Bücher? steht als Frage und Ausgangspunkt der Überlegungen. Mit einer fast mathematischen Logik und Konsequenz folgert Claudia Märzendorfer, dass nur ein leeres weisses Buch zugleich die Summe der Inhalte aller Bücher repräsentieren kann. Hier steht die Leere aber nicht für das Nichts, oder gar als (noch) zu beschreibender Raum, sondern – wie der Begriff ‚white noise’ in der Akustik eben auch den ganzen hörbaren Frequenzbereich beschreibt – für alles. Rauschen.

So sind denn in dem hier aufgestellten Buchregal lauter leere Bücher zu finden, einzig mit einem Schutzumschlag, auf dem die Frequenzkurve für weisses Rauschen zu lesen ist, überzogen; aufgestellt oder liegend – die Stapel zeigen den BetrachterInnen jedenfalls immer jene vier verschiedenen Ansichten eines Buches, die es zu bieten hat (Deckel, Rücken, Schnitt oben und seitlich). Die Anordnung der Bücher folgt (im Gegensatz zu früheren, hiermit verwandten Arbeiten) keiner bestimmten Regel oder Codierung, ganz der Entleerung bzw. Aufhebung eines Inhaltes entsprechend.

Konzeptuell verdichtet sich alles in der formalen Gestaltung des Buchregals: In seinen Proportionen folgt es dem Goldenen Schnitt eines mittelalterlichen Satzspiegels. Der mit Büchern (=Text) gefüllte Bereich beschreibt exakt die Verhältnisse von Bundsteg zu Kopfsteg zu Außensteg zu Fußsteg einer aufgeschlagenen Doppelseite – daher auch das Leerfeld in der Mitte. Die Regalböden sind hier als Zeilenraster zu lesen, und die Bücher selbst entsprechen denselben Maßverhältnissen, sie sind nur entsprechend proportional verkleinert.

Man hat es hier also mit der idealen dreidimensionalen Darstellung einer Doppelseite eines Buches zu tun, wobei – um im Assoziatonsfeld von Text / Buch / Bibliothek zu bleiben – die „Sprache“, die diese Idee vermittelt, wiederum Buchobjekte sind.

Eiskoffer und Kühltaschen

Die bildhauerische Arbeit zur Performance entstand als Reflex auf die elektronische Tonwelt.

Eiskoffer und Kühltaschen ist keine Illustration der coolen Töne der Musik, sondern eine Untersuchung über den Transfer von Objekten in das System einer Aufführung.

Es handelt sich dabei um einen in seiner Produktion höchst aufwendigen und sehr fragilen Versuch, dessen Gelingen keineswegs sicher war. Ein Sprung mit dem kalten Wasser. Die Wahl der Objekte steht in engem Zusammenhang mit dem Anspruch von thilges3, für ihren Auftritt keine klassischen Spielstätten zu wählen, sondern möglichst gut frequentierte öffentliche Räume zu benutzen. Und analog der Einbettung von Musik in den akustischen Kontext Bahnhof spielt Claudia Märzendorfer mit den Bedingungen und Assoziationen dieser Umgebung. Der Bahnhof als transistorischer Bereich, eine Station auf dem Weg, nicht das Ziel, Menschen tauchen auf und verschwinden. Hier werden alltägliche Gegenstände  platziert, in denen man idealtypische Verkörperungen des Ortes sehen kann. Dinge die man hier erwartet, Koffer und Taschen. Mit denen Erwartungen verbunden sind, Ortsveränderungen als Möglichkeit für Veränderung vielleicht, Musik lässt sich nicht greifen, sie dauert. Oder sind Endlosschleifen Gegenstände? Erst wenn der Zug verschwindet können wir ihn hören, außer wir fahren mit, aber damit kommen wir unserer Sehnsucht näher.

Claudia Märzendorfers Koffer und Kühltaschen entziehen sich der Dauer der musikalischen Performance. Sie schmelzen während der Aufführung, samt Inhalt.

Gegenstände auf Reisen, aufgeführte Objekte, Perfektes Verschwinden, Statische Bewegung. Viele Relationen werden wach, manches erklärt die Musik, aber nicht alles.

Reiner Zettl 2000

Bildhauerei ist für C. M. von Beginn an eine in Fluss gesetzte Herausforderung zwischen der ikonisierten Moderne und der des Widerstandes vor dem, des finalisierten Werkes, gesetzten Erwartungen. Ihren Arbeiten bleibt das organisierte Verwirrspiel verdauerter Gegenwart mit dem Bild des vergänglichen Schönen, dem Warenwert des künstlerischen Produktes fern. Reflexibles Aufzeigen verlorener Ursprünglichkeit – verbunden der Sehnsucht des vorausschauenden Teilnehmers seiner eigenen Gegenwart entsetzt die Künstlerin den Betrachter ihrer Arbeit aus rationalen Räumen in seine künstlerischen Befindlichkeiten.

Einzig im Moment der Sichtbarmachung kodierter Wirklichkeit behaupteten die Ordnungsbilder ihrer Erfinderin den Status des handelnden Ich.“ Alles kann ein Bild von Allem sein.“

Ludwig Wittgenstein, zumindest für den kurzen Moment, den freigesetzten Phantomen lustvoll zu folgen.

Werner Würtinger.

Eisiger Haushalt   Das Haus ist der Ort an dem wir uns geborgen fühlen. Besonders wenn es als unser kindliches Ideogramm auftaucht, gelernt als knappes Zeichen mit minimalen Bestimmungen, vier Wände und ein Dach vorzugsweise weiß und rot, steht es für Zugehörigkeit und zeigt klar jene im Zuge des erweiterten Wohlstandes erfolgte Vereinzelung der kleinsten Einheit: Die Familie im Einfamilienhaus.

C. M. beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dem Haushalt, mit jener Arbeit, die privat und daher immer noch unbeachtet geleistet wird aber Zusammenleben erst möglich macht. In täglicher Routine erfüllt, schafft sie keine festen Tatbestände sondern ist aufgehoben im ständigen Vergehen des Erreichten. Sie muss immer wieder wiederholt werden und findet kein Ende.

Haushalt und Haus der unabschließbare Prozess und das Bild von Identität, der zementierte Begriff, stehen einander diametral gegenüber. Häuser, vor allem die in unserer Vorstellung, leben länger als wir- üblicherweise nicht jedoch wenn Energie notwendig ist, ihre Form zu erhalten. Jene Energie kontinuierlicher Sorge im Haus, der Haushalt, muss das Haus als materielle Struktur selbst erhalten, weil es sonst instabil wird und verschwindet. Wie Eis in der Sonne eben. Welche Temperatur haben überhaupt Ideen?

Viel Lärm um Nichts/ much ado about nothing

…is a soundsculpture published 2005, Kunsthalle Wien, sculptor Claudia Märzendorfer in cooperation with the electroacoustic band thilges3.

2006, they portraits a cities music scene. 20 musicians/composers add their voice to a master composition from Claudia Märzendorfer and Nik Hummer. the master theme was played on a trautonium (an early electric/electronic instrument) Each single voice is transfered into a record out of ice. During the performance with four prepared turntables the sculpture was permanently changing its shape. so did the sound. (2006)

„Now I know this idea of records made out of ice serves no practical purpose. It’s definitely not the format that the global music industry is looking for to entice the buying public away from free downloads but I love it. It ticks so many of the boxes that I enjoy ticking at the moment. For a start it is impermanent. It is of the moment. There is nothing left but water that you can either drink or, more symbolically, wash your hands with. Or, with the water shortage, you could use the water again to make another record.“ Bill Drummond KLF/the 17, ( 2006)

thanks to: Bill Drummond, Hans Groisz, Remco Schuurbiers, Helge Hinteregger, Robert Jelinek, Susanna Niedermayer, Jeanette Pacher, Peter Rantasa, Christian Scheib, Carsten Seiffarth, Ske – Fonds, AHT Kühllogistik, MICA and all composers…

Composers (2005- 2025):

Noel Akchote, Martin Brandlmayer, Frieder Butzmann, Bernhard Breuer, Cordula Boesze, Dorit Chrysler, Christof Dienz, Electric Indigo, Christian Fennesz, Raviv Ganchrow, Clementine Gasser, Gammon, Manfred Hofer, Franz Hautzinger, Helge Hintergegger, Jurisic/Steiner, Katharina Klement, Klaus Lang, Robert Lippok, Wolfgang Mitterer, Michael Moser, Judith Unterpertinger, Maia Urstad, Maja Osojnik, Phillip Quehenberger, Matija Schellander, Nika Schmitt, Martin Siewert, Sara Zlanabitnig, thilges 3, and many others…

 

Als er das Messer in die Sonne warf beschreibt einen Moment, der aus der Kontrolle geraten, zugleich unmöglich und irgendwie „falsch“ zu sein scheint. Ob seiner narrativ poetischen Qualität könnte der Ausstellungstitel ebenso gut Titel eines Films sein, oder einer Musik. Und damit wären auch schon einige der Charakteristika gestreift, die Claudia Märzendorfers Zugang zur bildhauerischen Arbeit prägen.

Vielmehr als Werke für die Ewigkeit zu schaffen, interessiert die Künstlerin das Prozessuale, die Veränderung, das Verschwinden eines Werks; das Unwiederbringbare eines flüchtigen Moments, der sich bloß in unsere Erinnerung einschreiben kann, und möglicherweise genau dadurch – im subjektiven Abrufen, Rekonstruieren des Erlebnisses – weiterlebt; wie Kindheitserinnerungen. Magisch. Ihr Verständnis von Bildhauerei ist ein filmisches.

Seit 1996 arbeitet und experimentiert Claudia Märzendorfer wiederholt mit einem Material, das dieser Idee des Unbeständigen, Unkontrollierbaren entgegenkommt: gefrorenem Wasser (fallweise auch Tinte). Sie schafft damit temporäre Objekte, einmalige Situationen, die wie musikalische Live-Aufführungen immer auch einen Moment der Überraschung, des Staunens in sich tragen.

Für ihre Ausstellung Als er das Messer in die Sonne warf hat Märzendorfer ein modulares Bausatzsystem entwickelt. Die vier, leicht variierenden Grundtypen können miteinander kombiniert werden, um einfache geometrische Körper – Prototypen – zu bauen: mal bleiben diese skizzenhaft abstrakt, mal nehmen sie konkret Form an, etwa wenn die fragilen Objekte beispielsweise an Leiter, Sessel oder Rahmen erinnern. Die Eisabgüsse bieten prinzipiell die Möglichkeit einer seriellen Produktion – was in der Idee des Bausatzes, das theoretisch unendlich kombinier- und erweiterbar ist, aufgegriffen und fortgesetzt wird; die Teile sind reproduzierbar, doch niemals ident. Das führt in der Praxis zu Abweichungen; Abweichungen, die unberechenbar, von der Künstlerin jedoch nicht ungewollt, sondern vielmehr Teil der Idee sind.
Als er das Messer in die Sonne warf folgt der filmisch kompositorischen Logik, insofern als die Künstlerin den Ausstellungsraum als eine Art „Bühne“ begreift, auf der sie während der Ausstellungsdauer immer wieder neue, aus Eis geschaffene räumliche Konstruktionen arrangiert, eine Abfolge unterschiedlicher Situationen schafft. Ein Gesamtbild der performativen Installation ist als solches live kaum erfahrbar: die meisten Besucherinnen bzw. Passantinnen werden die Szenografie höchstens fragmentarisch wahrnehmen.

Jeanette Pacher, März 2009

Die Geburt der Bibliothek und das leere Archiv

In der Regel beginnt man als Kind zu lesen, wenn man ein Buch vorgelesen bekommt. In diesem Sinne ist das Vorlesen eine Art von Lesen, indem man das Lesen an jemand anderen delegiert und einfach zuhört, was da so geschrieben steht. Man liest, indem man sich etwas vorlesen lässt. Wenn sich diese Bücher als lesens- oder hörenswert herausstellen (und dies ist dann der Fall, wenn man darauf drängt, sich ein Buch immer wieder vorlesen zu lassen),  beginnt man diese vielleicht eines Tages zu sammeln, ohne sie je gelesen zu haben. Was hier im Keim und vorerst ohne Plan geboren wird, ist eine Bibliothek – ungeachtet der Frage, ob man die Bücher je gelesen hat oder lesen konnte. Beginnt man dann selbst zu lesen oder sich anfänglich selbst vorzulesen, bleiben wieder ein paar Bücher übrig, die man Wert erachtet, in die Reihe der ungeplanten Bibliotheksidee aufzunehmen. Über Wochen und Jahre beginnt diese Bibliothek nun zu wachsen. Die Frage nach einer Ordnung dieser Bibliothek oder in dieser Bibliothek ohne Plan ist verfrüht gestellt.  Man könnte einfach festhalten, dass Bibliothek hier nicht mehr bedeutet, als  die Entscheidung, aus den Büchern jene auszuwählen, die den Leser oder die Leserin ein Stück weit begleitet und sich als erinnerungswerte Spur ins Bewusstsein eingegraben haben – sei es, weil sie Räume und Zeiten eröffnet haben, die jenseits des Alltags angesiedelt waren, oder sei es, weil sie geholfen haben, diesen Alltag selbst als jenseits der Räume und Zeiten zu begreifen, in denen man sich wähnte.
In jedem Fall aber nährt sich die Idee, ein Buch in eine noch so ungeplante Bibliothek einzureihen von der Möglichkeit, dieses irgendwann einmal nochmals zu lesen oder bloß in die Hand zu nehmen – und sei es, um es einfach aufzuschlagen, hineinzulesen ohne es zu lesen und wieder zurückzustellen: da, wo es hin gehört, ohne dass es je genau dahin gehörte und definitiv ungeplant seinen Ort gefunden hat.

Was hier beginnt, ist eine Bibliothek, die nie als Bibliothek geplant war und eher als Gemeinsamkeit von Büchern erscheint. Diese Bücher finden nicht nur zusammen, sondern sie wachsen zusammen, um selbst und aus sich heraus eine Bibliothek wachsen zu lassen. In diesem Sinne ist dem einzelnen Buch die Idee der Bibliothek schon inhärent – genauso wie die Übersetzung dem Original. Aus dieser Perspektive erscheint die Bibliothek als Übersetzung eines Buchs in eine räumliche Sprache – in eine Sprache des Raumes, der in der Lage ist, dem Buch eine Adresse zu geben. Diese Adresse ist dem Buch immer schon inhärent, ohne dass sie je voraussagbar wäre. Wird ein Buch gerne gelesen, verlangt es nach einer Adresse, nach einem Ort, so unabhängig es von diesem bleibt. Und diese Unabhängigkeit vom Ort, nach dem es zugleich verlangt, macht die Bibliothek zur entscheidenden Einrichtung in einem Raum, weil hier ein Raum im Raum entsteht, der jenen räumlich und zeitlich immer überschreitet. Die Bibliothek in einem Raum setzt diesen Raum  außer Kraft. Eine Bibliothek zu betreten, bedeutet in diesem Sinne und scheinbar paradox einen Raum zu verlassen. Hier wird der Akt des Hineingehens zur Geste des Hinausgehens. Sich in der Bibliothek aufzuhalten, heißt sich im Außen  einzurichten. Und dies gilt für jede Bibliothek, die sich als ungeplante Gemeinschaft von Büchern versteht, die trotz und gerade ob ihrer Differenz zusammen gewachsen sind.

Der Gedanke liegt nahe – und hier setzen die entsprechenden Arbeiten von Claudia Märzendorfer an, diesem Gedanken an die Bibliothek selbst gegenüber zu treten und diesem Raum im Raum Gestalt zu geben. Im Wissen um die ungeplante Gemeinschaft der Bücher und im Wissen um das Begehren eines Buches nach einem Ort, galt es für die Idee des Buches selbst ein Buch zu entwickeln, das von anderen Büchern handelt, ohne diesen ihren Platz zu nehmen. Die Antwort war ein Buch mit leeren Seiten, ein ungeschriebenes Buch. Diese Ungeschriebenheit folgt nicht der Spur des leeren Buchs, das getragen war von der modernen Vorstellung eines ultimativen Buches a la Mallarméi, das ungeschrieben alle möglichen Bücher, die da noch geschrieben werden oder geschrieben wurden, in sich aufnehmen sollte. Im Unterschied zu diesen verkörpern die nicht geschriebenen aber gebundenen Bücher von Claudia Märzendorfer den Prototyp eines Buches: ein Buch als Buch. Es sind einzelne Bücher, jedes für sich ein Buch, unabhängig davon, was darin nicht geschrieben und damit nicht gelesen oder vorgelesen werden kann. Es reicht, in diesen Prototypen selbst je ein Buch zu erkennen und herauszulesen. Unterstrichen wird diese Individualität der je einzelnen Prototypen durch grafische Notationen am Schnitt: So sehr sie an Aufzeichnungen musikalischer Frequenzen oder an die Spuren eins Seismografen erinnern, so assoziativ und bestimmungslos bleibt ihr Gehalt. Sie signifizieren ohne zu beschreiben, was der Inhalt des Buches sein könnte oder sollte. Die Schrift wird reduziert auf eine Notation an der Schnittkante des Papiers, die Seite selbst bleibt unbeschrieben. Beschrieben ist damit nur das Papier als Träger von Bedeutung. Was bleibt, ist ein Buch als Objekt von Bedeutung. Wie bei den vorgelesenen Büchern von einst handelt es sich um Bücher, die man nicht lesen kann und auch nicht lesen muss. Als Bücher finden sie ihren Weg in die eigene Bibliothek oder in die verschiedenen Bibliotheken der ungeschriebenen Bücher, die Claudia Märzendorfer an unterschiedlichen Orten installiert hat. Was Märzendorfer mit diesen Bibliotheksinstallationen schafft, ist stets aufs Neue die Eröffnung eines Raums im Raum, die Markierung eines diasporischen Raums, der inmitten eines Raums ein Außen verspricht. Die Bibliothek als Diaspora. Ungeschrieben und unlesbar entziehen sich diese Bibliotheken dem Zugriff und der Vereinnahmung – wie jedes Buch, das kaum gelesen daran erinnert, wieder gelesen werden zu können. In diesem Sinne sind Bücher, geschrieben oder ungeschrieben, nie restlos lesbar. Mit jedem Akt des Lesens wird eine weitere Lesbarkeit vor sich her geschoben, ja aufgeschoben und verschoben bis zum nächsten Lesen. Die vermeintlich festgeschriebenen Zeilen entpuppen sich als bloßes Festhalten am Lesen oder Schreiben selbst. So manifest und festgehalten die Sprache erscheinen mag, so temporär lässt sie sich fassen. Was dann bleibt, ist die Erinnerung an ein Buch, die sich im nächsten Lesen wieder verändert und ergänzt wird durch die Ebenen, die man vordem überlesen hat.

Hier ist der Punkt, an dem die Bücher und Bibliotheken von Claudia Märzendorfer ihre Arbeiten aus Eis berühren: Skulpturen aus Eis. Schallplatten aus Eis. Koffer aus Eis. Skulpturen auf der Reise, die im Moment ihres Schmelzens noch gesehen, gehört und gelesen werden können, um dann zergangen als bloße Erinnerung den Gedanken an eine Form oder Bedeutung aufrecht zu erhalten.  Was von diesen Arbeiten aus Eis bleibt, ist die Erfahrung einer Lektüre. Jenseits einer strukturalistischen Vorstellung, die Welt als Text zu verstehen und mithin alles Wahrnehmbare dem (Heraus-) Lesen von Bedeutungen zu unterwerfen, zielt diese Lektüre von Eis auf die Differenz zwischen dem aktuellen Augenblick des Lesens und dem Wissen um das Unlesbare.
In diesem Sinne zielen die Bücher und Bibliotheken von Märzendorfer aufs Objekt, das sich der restlosen Lesbarkeit entzieht und damit umso dringlicher die Lektüre in Erinnerung ruft, und hier im Eis, wo sie die Lektüre und den manifesten Akt des Wahrnehmens und Vernehmens inszeniert, geschieht dies vor dem Hintergrund des Verschwindens des Objekts. Entzieht sie dem Buch die Lektüre, verweigert sie der Skulptur das Objekt. Steht auf der einen Seite eine Bibliothek aus ungeschriebenen Büchern, so weisen die Arbeiten aus Eis auf ein Archiv unhaltbarer und sich auflösender Objekte: auf ein leeres Archiv. Das einzige Archiv, das die Arbeiten aus Eis aufzunehmen vermag, ist die Luftfeuchtigkeit selbst – wenn man so will: eine klimatische Herausforderung, geknüpft an die Vorstellung, Skulpturen zu inhalieren. Wenn diese Skulpturen aus Eis den Raum verlassen, dann als Atem und Erfahrung.

Wenn man nun versucht, die beiden widersprüchlich erscheinenden Figuren eines Festhaltens der ungeschriebenen Bücher in der Bibliothek und des Archivierens von sich auflösenden Skulpturen aus Eis zusammen zu denken, dann landet man bei einem Begriff von Zeit. Wie das Lesen, so skizziert auch der Prozess des Auflösens einen Ereignishorizont. Schön daran ist die zwiefache Geschwindigkeit dieser Ereignishaftigkeit: So schnell oder langsam die Lektüre eines Buches sein mag, so unabhängig davon erscheint im Vergleich das ungeplante Wachsen einer Bibliothek. Und so schnell oder langsam die Eisskulpturen schmelzen, so unabhängig davon erscheint das Wachsen des leeren Archivs. Beide Figuren sind von prozessualer Natur, und beide Figuren verkörpern verschiedene Zeitabläufe. Die Minuten und Stunden sind darin genauso präsent wie das Wissen um Jahre und Jahrzehnte. Und dieses Nebeneinander und Ineinander von verschiedenen Zeitrechnungen ist das Thema, das in den Arbeiten von Claudia Märzendorfer unabhängig von Material und Medium zum Vorschein kommt. Das Argument liegt nahe, dass ihre Arbeiten darauf Insistieren, diese verschiedenen Vektoren von Zeit, das gegenwärtig Performative genauso wie das virtuelle Archiv über die Gegenwart hinaus, in Verbindung zu bringen und diese Verbindung auch aufrecht zu erhalten. Nur im Zusammenspiel von beiden entsteht ein Raum, der dafür plädiert, eine Form zu finden, mit Zeit umzugehen, ja den Raum selbst als eine Figur von Zeit zu lesen. In diesem Sinne könnte man behaupten und festhalten: Das Medium, das Claudia Märzendorfer jenseits ihrer Arbeit mit Eis oder Büchern gewählt hat, ist die Zeit. Aus der Perspektive ihrer bildhauerischen Herkunft  wäre der Begriff von »Zeitskulpturen« angemessen, aber zu abstrakt und geplant, um die verschiedenen Ereignishorizonte zu beschreiben. Diese Frage sei damit an die ungeschriebenen Bücher und das leere Archiv gerichtet.

Andreas Spiegel

1 Vergleiche dazu „das Buch” von Stephane Mallarmé, „dessen Realisierung jedoch nie über die Konzeptphase hinausgelangte.
[…] Das Buch impliziert das Verschwinden des Draußen in der Weiße des Nichts, durch die das Werk sich selbst
bestätigt und, indem es dies tut, sich selbst auch verneint. […] Da ‘Das Buch’… die Summe aller (denkbaren) Bücher enthält,
und da es als das Große (oder Reine) – noch ungeschriebene Werk – gleichzeitig die Welt, mit deren Totalität es identisch
ist, ausschließt (so wie es den Zufall ausschließt, indem es ihn als Notwendigkeit anerkennt), muß auch der Mensch, als
Subjekt der Geschichte und als Urheber von Geschichten, ausgeschlossen bleiben, ja sein Verschwinden wird zur Voraussetzung
dafür, dass das Werk überhaupt entstehen und bestehen kann.”
Felix Philipp Ingold: Das Buch im Buch, Berlin, 1988, 7f.